Klimaschutz 2025: „Es geht um Machen statt Reden“
Solange manche Parteien und Medien den Leuten erzählen, wir könnten so weiter wirtschaften, sind die Klimaziele unrealistisch, sagt Stefan Rahmstorf. Der Klimaforscher über das wärmste Jahr seit 120.000 Jahren, das 1,5-Grad-Limit und den Einfluss von Donald Trump. Interview: Joachim Wille
Klimareporter°: Herr Rahmstorf, das Jahr 2024 ist global und auch in Deutschland das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen, erstmals wurde im weltweiten Schnitt auch die 1,5-Grad-Schwelle durchgängig überschritten. Gibt es überhaupt noch die Chance, die Katastrophen zu verhindern, für deren Abwendung 2015 der Pariser Weltklimavertrag verabschiedet wurde?
Stefan Rahmstorf: 2024 ist wahrscheinlich sogar das wärmste Jahr seit 120.000 Jahren, also seit der Eem-Warmzeit vor der letzten Eiszeit. Und für immer mehr Menschen ist die Katastrophe längst da, weil ihr Haus weggeschwemmt wurde wie im Ahrtal, oder weil ihre Stadt oder Insel durch einen Wirbelsturm verwüstet wurde, wie gerade wieder die Insel Mayotte im Indischen Ozean.
Fast täglich hat es dieses Jahr Überschwemmungen irgendwo auf der Welt gegeben, weil die Meere ungewöhnlich warm waren, sodass dort mehr Wasser verdunstet, was dann irgendwo auch abregnet. Die zunehmende Verdunstung von den Meeren kommt leider großenteils in Extremregen wieder herunter. Sehr viele Wetterextreme werden durch die Erderwärmung verschlimmert.
Konkret: Im Paris-Abkommen ist ein Erwärmungslimit möglichst bei 1,5 Grad und deutlich unter zwei Grad als Sicherheitslinie vereinbart. Was ist denn realistisch?
Ich unterscheide da zwischen physikalisch-technisch realistisch und politisch realistisch. Da gibt es einen sehr großen Unterschied.
Physikalisch hört die Erwärmung auf, sobald wir endlich weltweit netto null CO2-Ausstoß erreicht haben. Die Technologien dafür haben wir im Wesentlichen. Wenn wir das zur höchsten Priorität machen, könnten wir sehr schnell diese Klimaneutralität erreichen.
Politisch sieht es leider völlig anders aus. Wir erleben gerade einen populistischen Backlash gegen Klimapolitik, mit absurden Kampagnen gegen die notwendigen Lösungen wie Elektroautos, Wärmepumpen und Windkraft.
Der Weltklimarat sagt, die 1,5 Grad sind längerfristig zu halten, wenn der globale CO2-Ausstoß bis 2030 halbiert wird und man dann CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt. Die Chancen dafür sind doch wohl eher gering, oder?
Auch das könnten wir, wenn wir wollten. Und es wäre klug. Aber solange manche Parteien und Medien den Menschen erzählen, wir könnten einfach so weiter wirtschaften wie bisher, wird das nicht passieren.
Stefan Rahmstorf (rechts) erklärt die Strömungen im Atlantik auf der Arctic-Circle-Konferenz im Oktober in Reykjavík. Neben ihm die Wetterdienst-Chefin und der Umweltminister Islands. (Bild: Guðfinna Aðalgeirsdóttir/Arctic Circle/Flickr)
Derzeit steuern wir auf rund drei Grad Erwärmung zu. Was würde das für das Leben auf der Erde bedeuten?
Das wäre eine völlig andere Erde, die wir nicht wiedererkennen. Das letzte Mal so warm war es auf der Erde im Pliozän vor drei Millionen Jahren, als unsere Vorfahren von der Gattung Australopithecus noch auf Bäumen hockten. Uns, also Homo sapiens, gibt es erst seit 300.000 Jahren.
Und unsere ganze Infrastruktur, unsere Städte, unsere Landwirtschaft, auch die derzeitigen natürlichen Ökosysteme sind hochgradig an das stabile Klima der letzten zehntausend Jahre angepasst, an das Holozän. Das haben wir inzwischen in atemberaubenden Tempo hinter uns gelassen.
Die globalen Temperaturen sind 2023 und 2024 besonders stark angestiegen. Welche Erklärung gibt es dafür?
Der Hauptgrund dafür ist ein El-Niño-Ereignis im tropischen Pazifik, das noch zu der fortschreitenden Erderwärmung durch unsere Emissionen hinzukam. So etwas passiert alle paar Jahre. Es bleibt aber ein nicht vollständig verstandener Rest von etwa einem Zehntel Grad. Das kommende Jahr wird zeigen, ob dies eine vorübergehende Schwankung oder von Dauer sein wird.
Laut einer neuen, in Science veröffentlichten Studie hat es Veränderungen bei der Bildung von Wolken gegeben, die die zusätzliche Erwärmung erklären könnten. Ist dieser Faktor in den Klimamodellen übersehen worden?
Die Klimamodelle beschreiben ja die langfristige Entwicklung und machen keine Vorhersagen für einzelne Jahre. Auch 2023 und 2024 liegen noch voll im Schwankungsbereich der üblichen Zukunftsprojektionen, die schon seit den 1980er Jahren die globale Erwärmung und viele ihrer Folgen korrekt vorhergesagt haben.
Die Ozeane haben bisher als Puffer der Erwärmung fungiert, in dem sie einen Teil des CO2 und große Mengen Wärme absorbiert haben. Ohne sie wären die 1,5 Grad längst gerissen worden. Könnte es sein, dass dieser Puffer erschöpft ist? Und was wären die Folgen?
Die Ozeane nehmen rund ein Viertel unserer CO2-Emissionen auf und verzögern außerdem durch ihre Wärmekapazität die Erwärmung. Es gibt erste Anzeichen, dass diese Pufferfunktion bereits etwas nachlässt. Für die Zukunft wird das zunehmend befürchtet.
Könnten wir an einem Punkt angelangt sein, an dem sich die globale Erwärmung dramatisch beschleunigt?
Die Messdaten deuten auf eine Beschleunigung der Erwärmung. Sie ist in den letzten zehn Jahren rascher verlaufen als der stetige Trend in den 40 Jahren davor. Wie signifikant das ist, wird noch debattiert, denn zehn Jahre sind noch recht kurz. Als dramatisch würde ich das erst einmal noch nicht bezeichnen.
Als gefährliches Kippelement im Klimasystem gilt der Golfstrom, dem Europa sein relativ mildes Klima verdankt. Er ist eines ihrer Haupt-Forschungsthemen. Wie wahrscheinlich ist es, dass er schwächer wird und sogar abreißt?
Korrekterweise sollten wir hier von der Atlantischen Umwälzzirkulation sprechen und nicht vom Golfstrom. Dass diese Strömung sich in den letzten Jahrzehnten abgeschwächt hat, ist aus meiner Sicht sehr gut belegt und die Klimamodelle sagen auch eine weitere Abschwächung aufgrund der Erderwärmung vorher.
Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Jahrhundert schon den Kipppunkt zu überschreiten, wurde jahrzehntelang als eher gering eingeschätzt. Aber neuere Studien deuten darauf hin, dass die Gefahr doch wesentlich größer ist als früher gedacht. Darauf hat erst im Oktober ein offener Brief von 44 Experten hingewiesen.
Was wären die Folge für Europa? Könnte eine Abkühlung nicht sogar positiv wirken, wenn sie die globale Aufheizung hier abmildert?
Die Folgen wären keineswegs positiv, sondern verheerend. In Großbritannien und Skandinavien würde es eine deutliche Abkühlung geben, im Mittelmeerraum dagegen eine Erwärmung, und an diesem verstärkten Temperaturkontrast würden sich wahrscheinlich nie dagewesene Wetterextreme entwickeln.
Die Meteorologen haben weltweit noch nie so viele Anomalien und Allzeitrekorde registriert wie in jüngster Zeit. Auch die Extremwetterereignisse nehmen zu, Europa zum Beispiel erlebte in diesem Jahr historische Überschwemmungen von Rumänien bis Spanien – Belege dafür, dass die Warnungen der Klimaforschung stimmen. Haben Sie Hoffnung, dass die Politik angesichts dieser Dramatik doch noch umsteuert?
Diese Hoffnung werde ich wohl nie aufgeben. Leider sehen wir im aktuellen Bundestagswahlkampf gleich mehrere Parteien, die den Klimaschutz lieber zurückschrauben als endlich angemessen priorisieren möchten. Und das, obwohl zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland sich zu Recht mehr Klimaschutz von der Regierung wünschen.
Wer könnte einen solchen positiven Kipppunkt auslösen?
Hoffnung macht, dass auch die Lösungen weltweit exponentiell wachsen und gleichzeitig immer billiger werden. Das gilt für Solarenergie, Windstrom, Elektromobilität, Batteriespeicher, Wärmepumpen und andere. Im Strombereich werden sich die erneuerbaren Energien allein aus wirtschaftlichen Gründen durchsetzen. Aber leider nicht unbedingt schnell genug, um eine Klimakatastrophe abzuwenden, weil die Beharrungskräfte und die fossile Lobby immer noch sehr stark sind.
Was glauben Sie, welchen Einfluss wird der Fossile-Energie-Fan und Klimawandel-Skeptiker Donald Trump auf den Klimaschutz weltweit haben?
Trump ist kein „Skeptiker“, sondern er verbreitet absurde Lügen zum Klimawandel. Im Wahlkampf ist er mit dem Slogan „Drill, baby, drill“ für mehr Bohrungen nach Erdöl und Erdgas eingetreten, also genau die fossilen Energien, von denen wir so schnell wie möglich wegkommen müssen.
Wie sich seine Amtszeit auswirken wird, lässt sich noch nicht absehen. Es wird sehr davon abhängen, wie die beiden anderen wichtigsten Klimaschutz-Akteure, also China und die EU, reagieren. China hat offenbar die große wirtschaftliche Chance erkannt, bei den Zukunftstechnologien die weltweite Führung zu übernehmen. Bei der EU bin ich mir nicht sicher.
Und wie sieht es mit Deutschland aus? Könnten wir wieder eine Vorreiter-Rolle im Klimaschutz übernehmen, so wie in den 2000er Jahren, als Deutschland der Solarenergie zum Durchbruch verhalf?
Das wird entscheidend vom Wahlergebnis abhängen. Die Wahlprogramme der demokratischen Parteien zeigen da durchaus große Unterschiede auf. Die Wähler sollten da nicht auf schöne Worte, sondern auf konkrete Pläne und Maßnahmen achten.
Braucht man denn noch die jährlichen UN-Klimagipfel, bei denen die Bremser wie Saudi-Arabien und Russland das Tempo vorgeben? Der letzte Gipfel in Aserbaidschan ist ja nur knapp am Scheitern vorbeigeschrammt.
Diese Klimagipfel sind das einzige Forum, wo alle Länder vertreten sind und auch die stark von den Klimaveränderungen betroffenen Entwicklungsländer oder Inselstaaten eine Stimme haben. Doch das Regelwerk des Paris-Abkommens ist ja an sich fertig. Jetzt geht es um die Umsetzung. Es geht um Machen statt Reden.
Quelle
Das Interview wurde von Joachim Wille geführt – Redaktion „klimareporter.de“ 2024 – und darf nicht ohne Genehmigung (post@klimareporter.de) weiterverbreitet werden!