Effizientere Energiewende kann Deutschland bis 2035 einen dreistelligen Milliardenbetrag sparen
Studie von BCG und BDI: Durch eine effizientere Umsetzung der Energiewende könnte Deutschland bis 2035 mehr als 300 Milliarden Euro sparen.
Die Kosten der Transformation könnten erheblich reduziert und der Industriestandort Deutschland gestärkt werden, ohne die langfristigen Klimaziele zu gefährden. Das zeigt die Analyse „Energiewende auf Kurs bringen”.
Die Analyse „Energiewende auf Kurs bringen” ist eine Vertiefung der im vergangenen September veröffentlichten Studie „Transformationspfade für das Industrieland Deutschland”.Letztere analysierte die Breite der Herausforderungen für den Standort und liefert Eckpunkte für eine neue industriepolitische Agenda. Die nun vorgestellte Analyse „Energiewende auf Kurs bringen” untersucht dagegen gezielt ein zentrales Handlungsfeld: die Energieversorgung und die Energiekosten der deutschen Industrie und identifiziert 20 Hebel für eine kosteneffizientere Umsetzung der Energiewende. Beide Studien hat die Boston Consulting Group (BCG) im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) erstellt, an den Transformationspfaden hat zudem das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) mitgewirkt.
„Hohe Energiekosten sind nicht erst seit der Energiekrise eine der größten Sorgen deutscher Industrieunternehmen“, sagt Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI. „Das erhöht den Druck, die Energiewende kosteneffizienter umzusetzen. Dafür müssen die bisher extrem ambitionierten und teuren Planungen an aktuelle Nachfrage- und Kostenentwicklungen angepasst, Effizienzpotenziale gerade in der Stromwende gehoben und große Kostenrisiken begrenzt werden. Zugleich darf die Optimierung nicht den Hochlauf wichtiger grüner Technologien ausbremsen. Um dieses Spannungsfeld aufzulösen und deutschen Herstellern einen starken Heimatmarkt und planbare Ausbaupfade zu sichern, ist ein politisches Bekenntnis zur Energiewende und eine gezielte Beschleunigung von Elektrifizierung, Ausbau der Erneuerbaren Energien und Wasserstoffwirtschaft nötig.“
Die Energiekosten schwächen den Standort
Energiekosten sind in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Unternehmen hierzulande bezahlen überdurchschnittlich viel für ihre Energieversorgung. Insgesamt sind die Kosten des deutschen Stromsystems seit 2010 um 70 Prozent gestiegen und Strompreise um bis zu 2,5-mal höher als bei den internationalen Wettbewerbern – Gas als wichtigster Energieträger der Industrie ist um den Faktor 5 teurer. Zukünftig drohen sogar noch höhere Kosten, da der weitere Anstieg der CO2-Preise auf Grund politischer Vorgaben auch Erdgas weiter verteuern wird. Aktuelle Fehlsteuerungen der Energiewende drohen das noch zu verstärken: Die derzeit geplanten Investitionen in Erneuerbare, Stromnetze und Wasserstoff gehen weit über die absehbare Nachfrage hinaus und würden Verbraucher dadurch mit hohen Kosten belasten, die teilweise vermeidbar sind. Gleichzeitig setzt die aktuelle Planung an vielen Stellen auf vermeidbar teure Lösungen wie zum Beispiel Erdkabel, statt Freileitungen zu verlegen, oder die Rückverstromung von grünem Wasserstoff bereits vor 2035.
Eine erheblich kosteneffizientere Energiewende ist möglich
Die Studie zeigt, dass eine bessere Steuerung der Energiewende Stromkosten sogar senken könnte. Jens Burchardt, Partner bei BCG und Co-Autor der Studie, sagt: „Im Stromsektor sind Emissions- und Kostensenkungen kein Widerspruch. Mit besserer Koordination und Planung könnte die Energiewende in den nächsten zehn Jahren mehr als 20 Prozent günstiger werden – bei gleichzeitig sinkenden Emissionen.“ Strompreise könnten demnach gegenüber heute sogar wieder sinken, wenn auch ein Zurück auf das Niveau vor Beginn der Energiewende wohl nicht erreichbar sei.
Folgende Hebel könnte eine zukünftige Bundesregierung einsetzen, um die Energiewende kosteneffizienter zu gestalten:
- Infrastrukturplanung anpassen: Der geplante Ausbau von Stromnetzen, Erneuerbaren und Wasserstoff sollte an die tatsächlich erwartete Nachfrage angepasst werden – im Jahr 2030 allein beim Strom beispielsweise mindestens 100 Terawattstunden weniger als aktuell geplant. Damit würde sich das Ausbautempo gegenüber den vergangenen Jahren weiter beschleunigen, gegenüber den politischen Zwischenzielen aber stärker den realen Entwicklungen anpassen. Eine solche „beschleunigte Verstetigung“ des Ausbautempos würde weiterhin eine Erreichung des Emissionszieles bis 2045 ermöglichen.
- Elektrifizierung beschleunigen: Eine schnellere Umstellung auf Strom in Verkehr, Industrie und Gebäudewärme ist nötig, um bestehende Investitionen ins Stromsystem besser auszulasten und dabei die Erreichung der Klimaziele zu beschleunigen.
- Versorgungssicherheit und Flexibilität erhöhen: Durch schnellen Zubau gesicherter Leistung und stärkere Flexibilisierung der Nachfrage, wo es technisch und ökonomisch möglich ist, können mit sehr hohen Kosten verbundene Knappheiten vermieden werden.
- Unnötig hohe Kosten sparen: Etwa durch Vermeidung teurer Erdkabel, eines frühzeitigen Einsatzes von hochpreisigen „Letzte Meile“-Konzepten wie der Verstromung von Wasserstoff, eines ineffizienten Netzausbaus und eines hohen Anteils relativ teurer Technologien, bspw. Offshore- anstelle von Onshore-Windanlagen, im Erneuerbaren-Mix.
- Transformation effektiver steuern: Stärkere regionale Anreize für Erneuerbare, Speicher und Verbrauch, eine systemdienlichere Integration von Erneuerbaren sowie stärkere europäische Zusammenarbeit können erhebliche Kosten sparen.
- Gestiegene Gaskosten begrenzen: Da Unternehmen ganzjährig eine gleichmäßige Gasnachfrage haben, könnten sie von der Finanzierung saisonaler Gasspeicher befreit werden. Die diskutierte Grüngasquote wäre vor einer möglichen Einführung sorgfältig auf ihre kostensteigernde Wirkung auf den Gaspreis und eine genaue Ausgestaltung hin zu prüfen. Eine Ausweitung der heimischen Gasförderung würde dagegen angebotssteigernd und damit potenziell preissenkend wirken.
- Optionenraum öffnen: Anstatt sich vorauseilend allein auf grünen Wasserstoff zur Dekarbonisierung von Backup-Kraftwerken für die „letzte Meile“ festzulegen, sollten auch andere und absehbar günstigere Lösungen wie Batterien, biogene Energieträger und Carbon Capture and Storage (CCS) ermöglicht werden.
Carsten Rolle, Abteilungsleiter Energie- und Klimapolitik beim BDI, betont: „Selbst bei einer kosteneffizienteren Umsetzung der Energiewende sind für stromintensive Sektoren langfristig verlässliche Entlastungen erforderlich, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und Investitionssicherheit zu geben. Unnötige Zusatzbelastungen für die Industrie, wie sie sich zum Beispiel aus einer Gasspeicherumlage ergeben oder bei einer Grüngasquote entstehen könnten, sollten zukünftig unbedingt vermieden werden.” Gleichzeitig muss die Elektrifizierung industrieller Wärme gezielt gefördert werden, damit Strom mit Erdgas konkurrieren kann.
Grüner Wasserstoff: Wachstumsfeld, aber auch Kostenfaktor
Der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft – für einige Anwendungen zur Dekarbonisierung zwingend nötig – wird ohne staatliche Unterstützung nicht gelingen. „Grüner Wasserstoff bleibt ein strategisches Wachstumsfeld für die deutsche Industrie“, erklärt Patrick Herhold, Co-Autor der Studie und Senior Partner bei BCG. „Es braucht öffentliche Unterstützung, um Wasserstoff für die Anwendungen bereitzustellen, wo er zur Dekarbonisierung alternativlos ist.“ Allerdings bleibt grüner Wasserstoff in vielen Anwendungen langfristig teurer als Alternativen. Um unnötige Kosten zu vermeiden, sollten die ambitionierten Pläne zur Wasserstoffwirtschaft deswegen stärker an ökonomischen Realitäten ausgerichtet werden. Gleichzeitig gilt es, günstigere Alternativen für die Industrie zu erleichtern – etwa durch verstärkte Importe, blauen Wasserstoff, Bioenergie oder CCS.