Klimaschutz nach der Wahl: Sondierungsergebnis, Milliardenfinanzpaket und Koalitionsverhandlungen
In den Sondierungsergebnissen von Union und SPD finde ich zum Klimaschutz nur solche konkreten Maßnahmen, die die Erderwärmung weiter beschleunigen. Von Hans-Josef Fell

Auf lediglich 11 Seiten des Sondierungsergebnisses überwiegen bei den Einzelmaßnahmen jene, die klar gegen den Klimaschutz gerichtet sind:
Mit viel Steuergeld oder Steuererleichterungen werden große Teile der Gesellschaft regelrecht ermuntert, ihre klimaschädlichen Aktivitäten fortzusetzen. Dabei gibt es sogar Rückschritte bei bereits mühsam erzielten Klimaschutzmaßnahmen.
Hier nur ein paar gravierende Beispiele:
- Der klimaschädliche Agrardiesel soll wieder vollständig steuerbefreit werden, wodurch die Bauernschaft noch weiter davon entfernt wird, Traktoren mit nachhaltigen Biokraftstoffen oder E-Traktoren anzuschaffen.
- Die Strompreise sollen gleich doppelt mit Steuergeldern subventioniert werden: durch die Senkung der Stromsteuer und die steuerfinanzierte Übernahme der Netzentgelte. Dadurch sinkt der Anreiz, sich klimapolitisch zu engagieren – weder die Einsparung von Strom noch die Umstellung auf günstigeren, selbst erzeugten Ökostrom wird dadurch gefördert.
- Die End-of-Pipe-Technologie CCS, die keinerlei Emissionen in der Vorkette reduzieren kann, soll gesetzlich erleichtert werden.
- Die verstärkte Förderung der Fusionsforschung wird die Mittel für erneuerbare Energien weiter schmälern. Dabei ist es die Fusionsforschung, die seit über 70 Jahren weltweit die meisten öffentlichen Energieforschungsmittel erhält, aber bisher – und wohl auch in den nächsten 50 Jahren – nichts zur Energieversorgung beiträgt.
- Die EU-Strafzahlungen für die Nichteinhaltung der Emissionsgrenzwerte im Automobilsektor sollen ausgesetzt werden – eine nachträgliche Belohnung für das konsequente Festhalten der Automobilindustrie am klimaschädlichen fossilen Verbrennungsmotor.
- 20 Gigawatt neuer, höchst klimaschädlicher Erdgaskraftwerke sollen ausgeschrieben werden.
Auf der positiven Seite stechen hervor:
- „Dazu gehört neben dem entschlossenen und netzdienlichen Ausbau von Sonnen- und Windenergie u. a. auch der Ausbau von Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie und Speicherkapazitäten.“
- Quoten für klimaneutralen Stahl, eine Grüngasquote und vergaberechtliche Vorgaben.
- Förderung der E-Mobilität durch Kaufanreize.
Die Liste der geplanten klimaschädlichen Maßnahmen ist jedoch so umfangreich, dass das Bekenntnis zur Einhaltung der nationalen Klimaziele nicht umgesetzt werden kann. Dabei sind bereits die Klimaschutzziele der Bundesregierung unzureichend – wie selbst das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.
Eine derart deutliche Erhöhung steuerlicher Subventionen und weiterer Steuererleichterungen für die Emittenten von Klimagasen kann jedenfalls keine Klimaschutzwirkung entfalten. Sie bedeutet vielmehr ein „Weiter so“ mit völlig unzureichendem Klimaschutz. Anstatt endlich alle fossilen Subventionen abzubauen, werden sie sogar weiter erhöht.
Damit ist das Sondierungspapier von Union und SPD eigentlich nicht verfassungskonform.
Abstimmung zum Milliardenfinanzierungspaket im Bundestag
Ursprünglich wollten Union und SPD das immense Verschuldungspaket von fast einer Billion Euro für Verteidigung und Infrastruktur vollständig ohne Klimaschutzmaßnahmen beschließen. Dem klugen Verhandlungsgeschick der Grünen ist es zu verdanken, dass nun immerhin 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz vorgesehen sind und dass dieses Finanzpaket schließlich eine Mehrheit im Bundestag finden konnte.
Auch die Aufnahme des Ziels der Klimaneutralität bis 2045 ins Grundgesetz ist ein bedeutsamer Erfolg grüner Politik. Selbst wenn 2045 viel zu spät ist, könnte dies dennoch eine starke Klimaschutzwirkung entfachen – möglicherweise wird so eine Dynamik angestoßen, die die Klimaneutralität viel früher erreichen lässt.
Die 100 Milliarden Euro sind zweifellos viel Geld und können erheblich zum Klimaschutz beitragen – vorausgesetzt, sie werden richtig eingesetzt. Nun liegt es an Union und SPD, diese Mittel im Detail im Koalitionsvertrag zu verankern, sofern es ihnen gelingt, eine neue Regierung zu bilden.
Jetzt kommt es also auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen an. Hier müssen die richtigen Weichen für einen verfassungskonformen Klimaschutz gestellt werden, der sich an den realen klimatischen Herausforderungen orientiert. Diese sind sonnenklar: Mit einer aktuellen CO₂-Konzentration von 425 ppm hat die Erde längst die planetare Grenze für ein sicheres Überleben der menschlichen Zivilisation überschritten.
Daher sollten politische Maßnahmen sehr schnell (höchstens eine Dekade) dazu führen, dass alle Treibhausgasemissionen komplett gestoppt werden und die Reinigung der Atmosphäre von überschüssigem Kohlenstoff auf unter 350 ppm gelingen kann.
Dazu braucht es eine Energieversorgung mit 100 % Erneuerbaren Energien, eine emissionsfreie Kreislaufwirtschaft und eine Revolution für grüne Kohlenstoffsenken – durch regenerative Landwirtschaft, Aufforstungen, Moorschutz und eine blaue, kohlenstoffsenkende Meereswirtschaft.
Was die eigentliche Richtschnur für die Koalitionsgespräche sein müsste:
Um diese Strategie umzusetzen, muss klar sein, welche inhaltlichen Punkte entscheidend sind. Zudem muss erkannt werden, welche Maßnahmen unter dem Label Klimaschutz kontraproduktiv sind.
Es gibt zwei Kategorien von Maßnahmen, die oft als Klimaschutz deklariert werden:
- Wirksame Klimaschutzinvestitionen
- Maßnahmen, die nur den Anschein von Klimaschutz erwecken, aber tatsächlich kontraproduktiv sind
Kontraproduktive Maßnahmen sind solche, die:
- viel zu teuer sind, weshalb sie nie angewendet werden. Dadurch fehlen Mittel für zielführende Maßnahmen.
- keine echten Klimaschutzmaßnahmen sind, weil sie weiterhin starke Emissionen erzeugen.
Wirksame Klimaschutzmaßnahmen sind Investitionen in (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) :
✅ Verkehr & Mobilität:
- Ausbau der Bahn- und Radwegeinfrastruktur
- Förderung der E-Mobilität: Kaufanreize, Ladeinfrastruktur, bidirektionales Laden für E-Autos, E-Busse, E-Bahnen, E-LKW, E-Kurzstreckenflugzeuge, E-Schiffe, E-Traktoren
✅ Erneuerbare Energien:
- Bau neuer Anlagen sowie Unterstützung für Fabriken: Solar-, Wind-, Batterie- und Biogasanlagen
- Ausbau der Verteilnetze, Flexibilisierung der Bioenergie, Modernisierung der Wasserkraft, Geothermie
- Grüner Wasserstoff – aber ausschließlich dezentral
✅ Energieinfrastruktur & Netzintegration:
- Statt teurer Übertragungsnetze, Förderung dezentraler Einspeisung
- Netzanschlüsse für Investitionen in einen Mix aus allen Erneuerbaren Energien und Speichern
✅ Wärmenetze:
- Nutzung von Flusswärme, Geothermie, Wärmepumpen mit Ökostrom
✅ Grüne Chemie & Petrochemie-Ersatz:
- Förderung innovativer Chemieproduktion auf Basis von Algen, Pilzen und nachwachsenden Rohstoffen für Plastik, Farben, Lacke, Flugbenzin etc.
✅ Baustoffe & klimafreundliches Bauen:
- Entwicklung neuer, kohlenstoffsenkender Zementsorten
- Förderung von Textilbeton als Ersatz für Stahlbeton
- Mehr Holzbauten und Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen oder Algen
✅ Landwirtschaft & natürliche Kohlenstoffsenken:
- Förderung der Umstellung auf regenerative Biolandwirtschaft
- Einsatz von Naturdüngern aus Biogasanlagen und Biokohle
- Moorschutz und Aufforstung
- Förderung von Biokraftstoffen und E-Traktoren
✅ Blaue Meereswirtschaft:
- Ausbau von Seegraswiesen und Makroalgenkulturen zur Ernte für Baustoffe, Biochemie, Flugbenzin u.a.
✅ Abfallwirtschaft & Emissionsvermeidung:
- Förderung von Biokohleproduktion statt Klärschlamm- und Müllverbrennung
- Ersatz der klimaschädlichen F-Gase, z.B. in Wärmepumpen und Kühlanlagen
Kontraproduktive Klimaschutzförderung:
Folgendes wird immer zu teuer bleiben, weil höchst ineffizient, zu teuer in den Anwendungen und daher keine Marktnachfrage entstehen kann:
- Import von grünem Wasserstoff, Wasserstoffkernnetz,
- Wasserstoffanwendungen im Verkehr und in der Heizung, Auch in der Industrie gibt es oft viel bessere Lösungen, wie z.B. Hochtemperaturspeicher.
Kontraproduktiv sind „Klimaschutzmaßnahmen“,
die im gesamten Lifecycle hohe CO₂-, Methan-, Lachgasemissionen und Radioaktivität emittieren:
- Grauer, blauer, pinker, roter Wasserstoff
- CCS (Carbon Capture and Storage)
- LNG-Infrastruktur
- Erdgaskraftwerke: Zur Flexibilisierung sind keine Erdgaskraftwerke nötig (Wasserstoff-ready wird nie verwirklicht, weil zu teuer). Es genügen alle anderen Maßnahmen in der Summe: Flexibilisierung von Bioenergie, Modernisierung der Wasserkraft, Batterien, bidirektionales Laden, Steuerung von Wärmepumpen, Ladesäulen, Wärmespeicher
Die Darstellung der notwendigen politischen Maßnahmen, die all dies erreichen können, würde den Rahmen eines Newsletters sprengen. Daher möchte ich an dieser Stelle auf Beispiele hinweisen, die anderswo bereits umgesetzt werden, in Deutschland jedoch nicht einmal diskutiert werden:
Verbot der Werbung für fossile Produkte wie in Den Haag, Edinburgh und demnächst Stockholm
Auf Vorschlag des UN-Generalsekretärs António Guterres haben erste Städte begonnen, ein gesetzliches Verbot für Werbung klimaschädlicher Produkte umzusetzen. Zum Beispiel in Den Haag: Gesetzlich untersagt ist die öffentlich und privat finanzierte Werbung für Benzin und Diesel, Flugreisen und Kreuzfahrtschiffe in den Straßen der niederländischen Stadt, darunter auf Plakatwänden und an Bushaltestellen. Auch Edinburgh hat Ähnliches beschlossen, und die Region Stockholm will ab 2026 frei von fossiler Werbung sein.
Gesetze, die fossile Unternehmen verpflichten, für die von ihnen verursachten Schäden zu bezahlen
In New York wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach die Ölfirmen eine Strafe von 75 Milliarden Dollar zahlen müssen, um die durch ihre Geschäftstätigkeit verursachten Klimaschäden auszugleichen.
Auch der US-Bundesstaat Kalifornien hat fünf Erdölunternehmen auf Schadensersatz verklagt.
Sogar in dem von zunehmenden Hurrikans geplagten karibischen US-Bundesstaat Puerto Rico haben Städte nun Klimaschadensklagen gegen die Ölmultis durchgesetzt.
Ausgerechnet in den von Republikanern dominierten USA scheinen sich auf Bundesstaatenebene starke Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen. Diese genannten Gesetze und Klagen werden jedenfalls eine viel stärkere Klimaschutzwirkung entfalten als alles, was im Sondierungspapier von Union und SPD angedacht ist.
Gesetze zum finanziellen Schadensausgleich, finanziert durch die fossile Wirtschaft, wären besser als die Aufnahme großer neuer Schulden
Und noch etwas zeigen diese Klimaklagen in den USA:
Die gefährliche hohe Verschuldung, zumindest im Infrastrukturpaket, hätten sich Union und SPD sparen können, wenn sie die Verursacher der Erdaufheizung mit ihren immensen Folgeschäden zur Kasse gebeten hätten –so wie es Kalifornien und New York bereits tun.
Alleine mit diesen Geldern, finanziert von den hohen Gewinnen der Klimazerstörer von BP, Shell, Exxon, Total, Chevron, Gazprom und vielen anderen, hätten hunderte Milliarden einkassiert werden können, um echte Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Alleine Shell und Exxon haben in ihren Bilanzen global zusammen rund 150 Milliarden Dollar aufsummiert in den Jahren 2022 und 2023 ausgewiesen.
Damit wäre diese gefährlich hohe staatliche Neuverschuldung zumindest stark reduzierbar.
Aber SPD und Union kennen wohl nur die für kommende Generationen höchst gefährliche Aufhäufung von einer Billion Euro Schulden Staatsschulden und nicht die steuerliche Heranziehung von Superreichen, insbesondere aus dem Spektrum der Verursacher der Erdüberhitzung, eben die Konzerne der fossilen Wirtschaft: Erdöl, Erdgas und Kohle.
Viel wurde darüber kopfschüttelnd geschrieben, dass Friedrich Merz im Wahlkampf strikt gegen eine solch hohe Neuverschuldung war, ja, die Ampel mit dem Thema Schuldenbremse gar zum Bruch trieb, aber dann sofort nach der Wahl alle seine Überzeugungen über Bord warf.
Mit dieser nun beschlossenen Ermöglichung der staatlichen Schuldenaufnahme kann Deutschland schnell in Richtung Staatsbankrott driften. Was das bedeutet, habe ich um 2010 im Bundestag hautnah miterlebt, als es darum ging, Griechenland vor dem Staatsbankrott zu retten. Es wäre also besser und kann immer noch politisch beschlossen werden, die klimazerstörende Wirtschaft endlich für die von ihr verursachten Schäden zur Kasse zu bitten, statt die Staatsverschuldung unverantwortlich hochzuschrauben.
Quelle
Hans-Josef Fell 2025 | Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG