Wir zeigen Flagge für Tibet
Über 400 deutsche Kommunen zeigen am 10. März 2025 wieder „Flagge für Tibet“. Das ist ein wichtiges Signal der Solidarität, für das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes und für die Wahrung der Menschenrechte in Tibet.
Der 10. März ist die Erinnerung an den Volksaufstand der Tibeter im Jahr 1959, den die chinesischen Besatzer brutal und blutig niedergeschlagen haben. Der Dalai Lama und die tibetische Exilregierung schätzen, dass in diesem „kulturellen Völkermord“ seither circa 1.2 Millionen Tibeter durch Hunger und Gewalt ums Leben gekommen sind. Die Tibeter dürfen ihr Land auch nicht mehr Tibet nennen, es muss chinesisch „Xizang“ genannt werden. Gegen diesen Größenwahn haben sich in den letzten 15 Jahren 169 Tibeter, meist junge Mönche, selbst verbrannt. Die Welt nahm kaum Notiz davon. Einer der ältesten Hochkulturen der Welt droht die Auslöschung, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ zum 10. März 2025.
Als im Januar dieses Jahres ein starkes Erdbeben in Tibet in der Nähe des Mount Everest 126 Menschen tötete, drückte auch Kanzler Scholz seine „große Betroffenheit über das schwere Erdbeben im Südwesten Chinas“ aus, das Wort „Tibet“ kam in seinem Schreiben nicht vor. Andere westliche Staatschefs sprachen von Tibet.
Tibets Flagge wird heute von der tibetischen Exilregierung verwendet. Der verschneite Berg in der Mitte unter der Sonne ist der „heilige Berg“ Kailash – Sinnbild der tibetischen Nation und seiner uralten Kultur und Religion.
Noch vor wenigen Jahren war der Dalai Lama auf der halben Welt gegenwärtig. Er hielt Reden vor Zehntausenden, gab Interviews und wurde von Staatschefs empfangen. Doch jetzt, im Alter von fast 90 Jahren und nach Corona, lebt er eher zurückgezogen in seinem nordindischen Exil, in Dharamsala am Rande des Himalaja. Dreimal pro Woche empfängt er dort Besucher aus der ganzen Welt. Noch immer kleben weltweit auf unzähligen Autos Solidaritäts-Aufkleber mit der Schrift „Free Tibet“. Hollywood hat zwei Filme über ihn gedreht, seine Bücher sind Weltbestseller. Aber aus Angst vor den Chinesen, trauen sich immer weniger westliche Politiker, ihn noch zu empfangen. Donald Trump hat auch tibetischen Hilfsorganisationen in diesen Tagen die finanzielle Unterstützung gestrichen.
Und deshalb scheint vielen auch die Geschichte des Dalai Lama tragisch und traurig. Er habe, schrieb soeben „DIE ZEIT“ zwar die geistige Welt für sich gewonnen, aber seine Heimat Tibet schon lange verloren. Wirklich?
Im Westen galt der Dalai Lama über viele Jahre bei vielen Umfragen als der „sympathischste Mensch der Welt“. Er lebt jetzt 66 Jahre im indischen Exil. Und ist einer der ältesten Flüchtlinge der Welt. Seine geliebte Heimat, das Dach der Welt, ist heute durch die chinesische Gewaltherrschaft mehr als je zuvor von der Welt isoliert. Seit einigen Jahren sind auch tibetische Kinder ab vier Jahren von ihren Eltern getrennt, sie leben in Zwangsinternaten, die von Chinesen geleitet werden. Es handelt sich um einen weiteren gezielten Versuch, die kulturellen, religiösen und sprachlichen Wurzen Tibets zu zerstören. In diesen Internaten dürfen die Schülerinnen und Schüler nur chinesisch sprechen.
In Tibet kann die Welt lernen wie eine imperiale Großmacht versucht, ein kleines Volk mit einer großen, reichen und langen Kultur auszulöschen oder wie die chinesischen Kommunisten sagen „die rückständigen Tibeter zu modernisieren“. Wahrscheinlich hat Putin mit den Ukrainern Ähnliches vorgesehen.
Doch diese Rechnung muss nicht aufgehen. Der Dalai Lama ist seit Jahrzehnten in Kontakt mit wissenschaftlichen Gehirnforschern in der ganzen Welt. Dass heute überall, einschließlich in China, über „Achtsamkeit“ und über eine „Revolution des Mitgefühls“ nachgedacht wird, ist ganz wesentlich dem Dalai Lama zu verdanken. In China orientieren sich etwa 400 Millionen Menschen am Buddhismus. Unser gemeinsames Buch „Ethik ist wichtiger als Religion – Der Appell des Dalai Lama an die Welt“ ist ein Weltbestseller, der in 25 Sprachen übersetzt wurde. Dort sagt er: „Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen“.
Es geht dem Dalai Lama nicht nur um den spirituellen Fortschritt Einzelner, sondern auch um den Fortschritt der Wissenschaft und damit um eine neue Weltethik. Dafür steht der Dalai Lama seit Jahrzehnten in Kontakt mit Neurologen und anderen Wissenschaftslern aus der ganzen Welt. Ich durfte in 40 Begegnungen aus der Nähe miterleben, wie eine Idee neue Kraft gewann: Unser Gehirn ist plastisch und wandelbar. Wir können es verwandeln und trainieren wie einen Muskel – durch Meditation wie buddhistische Mönche, aber auch durch andere geistig-spirituelle Trainingsübungen wie sie alle Religionen und Weisheitslehren kennen. Daraus formte der Dalai Lama („Ozean der Weisheit“) seine Lehre von der „Weltrevolution des Mitgefühls“. Eine Lehre, die langfristig die Welt mehr verändern kann als alle klassischen Theorien der Weltrevolutionen, die bisher weitgehend auf Gewalt basieren. Dass die Suche nach „Stille“ und „Meditation“ in den letzten Jahrzehnten über alle Volkshochschulen dieser Welt eine Art Massenkultur geworden ist, ist wesentlich das Verdienst des Dalai Lama.
Wir verdanken dem bald 90-jährigen Dalai Lama wahrscheinlich mehr als wir bisher ahnen. Seine konsequente Lehre der Gewaltlosigkeit baut auf seiner Lehre des Mitgefühls. Das vermuten auch sein wissenschaftlichen Freunde an hunderten wissenschaftlichen Einrichtungen wie am Massechusetts Institute of Technology, bei der Gesellschaft für Neurowissenschaften in Washington, in Stanford, Zürich und Straßburg – immer wieder betont er, wie wichtig es ist, dass Wissenschaft und Religion zusammenarbeiten. Zum Klimawandel schreibt er: „Wir Menschen sind die einzige Spezies, welche die Kraft hat, unseren Planeten und sein Klima zu zerstören – oder noch zu retten“.
Des Dalai Lamas langjähriger Sekretär und Unterhändler in China, Kelsang Gyaltsen, der mit seinen Eltern als Neunjähriger aus Tibet geflohen war, hält die Symbolpolitik des Flaggezeigens für Tibet für „überlebenswichtig. Die Tibeter sollen wissen, dass sie nicht vergessen sind“. „Flagge zeigen für Tibet“ ist mehr als nur ein politisches Symbol.
Die „Essenz seiner Lehre“ hat der Dalai Lama soeben in seinem neuen Buch „Die Stufen des Pfads zum Erwachen“ (Herder 2024) beschrieben. Ein Muss für jeden, der sich wirklich für den Weltfrieden und eine bessere Welt interessiert.
- Der Appell des Dalai Lama an die Welt: Ethik ist wichtiger als Religion – Dalai Lama und Franz Alt | Benevento Publishing
- Dalai Lama „Die Stufen des Pfades zum Erwachen | Die Essenz meiner Lehre“ | Herder Verlag 2024