Teure Kernenergie: Die politische Dimension der Kernkraft
Die Kernkraft zur Energieerzeugung zu nutzen, ist wirtschaftlich nicht mehr lukrativ. Dass sie dennoch in einigen Ländern weiter gefördert wird, hat politische Gründe. Wenn neue Reaktoren gebaut werden, sind starke militärische Motive im Spiel.
Gegen preisgünstigen Wind- und Solarstrom kann die Kernenergie wirtschaftlich nicht mehr bestehen. Zuletzt hatte sogar der französische Rechnungshof die fehlende Wirtschaftlichkeit der EDF-Kernkraftprojekte kritisiert. Weltweit fließen private Investitionen vor allem in den Aufbau Erneuerbarer Kraftwerke. Doch die Atomwaffenstaaten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien halten an der Atomkraft fest – das hat geopolitische und militärische Gründe.
Der jährlich erscheinende World Nuclear Industry Status Report (WNISR) geht auf diesen Zusammenhang ausführlich ein. Für Nuklearwaffen benötigtes Tritium kann auch aus zivil genutzten Reaktoren entnommen werden – und dieser Weg wird immer öfter gegangen. So kündigte beispielsweise die französische Regierung 2024 an, dass sie nach der Schließung ihrer speziellen Tritium-Produktionsreaktoren eine Partnerschaft mit dem Energieversorger EDF eingeht, um Tritium für ihr Atomwaffenprogramm im Kernkraftwerk Civaux mit zwei Reaktoren zu produzieren.
Erstmalig setzten die USA das Verfahren ein – sie ersetzten in den Kernreaktoren Watts Bar-1 und Sequoyah auf Borbasis arbeitende Absorberstäbe durch Tritium produzierende Absorberstäbe. Die Stäbe werden nach einem 18-monatigen Bestrahlungszyklus zu einer Extraktionsanlage transportiert, wo das zurückgewonnene Tritium in Edelstahlbehälter gefüllt wird, die später in Waffen eingebaut werden können.
Atomwaffenstaaten bauen Kernreaktoren, allen voran Russland und China
Im Jahr 2024 begannen die Bauarbeiten für neun neue Kernreaktoren weltweit. Sechs davon befinden sich in China, einer wird in Pakistan von einem chinesischen Unternehmen gebaut. Die restlichen zwei werden von Russland errichtet: einer in Russland, einer in Ägypten. Weltweit wurde in den vergangenen fünf Jahren mit dem Bau von 40 Reaktoren begonnen, davon 26 (62 Prozent) in China, einer in Pakistan von chinesischen Unternehmen und die anderen 13 von der russischen Atomindustrie in Ägypten, Indien, Türkiye und im Inland. Russland begann auch mit dem Bau von vier Blöcken, die in China in Betrieb genommen wurden. Über den gesamten Zeitraum hinweg waren chinesische und russische Unternehmen weltweit die einzigen Bauherren mit offiziellem Reaktorbaubeginn.
Zum 1. Januar 2025 befanden sich weltweit 61 Kernreaktoren in 13 Ländern in Bau. Fast die Hälfte der Reaktoren (29) befindet sich in China im Bau, darunter vier von der russischen Industrie, die auch in Bangladesch (2), Ägypten (4), Indien (4), Iran (1), Türkei (4) und im Inland (6) baut, also insgesamt 25 Blöcke. Das einzige Land neben Russland und China, das im Ausland baut, ist Frankreich mit zwei Blöcken in Großbritannien. Fast alle Bauten (über 93 Prozent) werden entweder in Atomwaffenstaaten oder von Unternehmen durchgeführt, die von Atomwaffenstaaten in anderen Ländern kontrolliert werden. Die einzigen Ausnahmen sind Baustellen in Argentinien (ein 25-MW-Block mit unsicherem Baustatus), Japan (ein 1300-MW-Block mit unsicherem Baustatus) und Südkorea (zwei 1300-MW-Blöcke).
Kernkraft erlebt alles andere als einen Boom
Der weltweite Bau neuer Reaktoren ist überschaubar. So gingen 2024 gerade einmal sieben neue Reaktoren mit einer Gesamtleistung von 8,2 Gigawatt ans Netz – drei in China und je einer in Frankreich, Indien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA. Gleichzeitig wurden vier Reaktoren mit rund 4 Gigawatt Leistung stillgelegt, zwei in Kanada und je einer in Russland und Taiwan. Der Nettozuwachs an operativer Kernkraftkapazität betrug damit 4,3 Gigawatt. Im Vergleich dazu wurden allein in China 2024 knapp 278 Gigawatt an Solarkapazität hinzugebaut, in den USA gingen 2024 fast 50 GW neue Solarenergie ans Netz.
Die Aussage von Friedrich Merz kurz nach der Bundestagswahl, den Rückbau der deutschen Kernkraftwerke stoppen zu wollen, erscheint in diesem Kontext geradezu absurd. Längst haben auch die deutschen Kernkraftwerksbetreiber vor dem Versuch einer Wiederinbetriebnahme gewarnt – dieser Schritt würde teuer und langwierig.
- Irreführende Prognosen zur Atomkraft-Entwicklung | Klimaszenarien gehen laut DIW-Forschern bei Atomenergie von unrealistischen Annahmen aus. Das führt zu fehlgeleiteten Investitionen in die Kernenergie und verhindert damit den Ausbau Erneuerbarer Energien, die rentabler und risikoärmer sind.
- Nur finanzierbar, wenn der Staat dahintersteht | Atomkraftwerke sind nur finanzierbar, wenn sie staatlich abgesichert werden. Das bestätigt eine Studie im Auftrag von Greenpeace, die bestehende Finanzierungsmodelle für Atomkraftwerke in Europa untersucht hat.
Quelle
Der Bericht wurde von der Redaktion “energiezukunft“ (pf) 2025 verfasst – der Artikel darf nicht ohne Genehmigung weiterverbreitet werden! | energiezukunft | Heft 37/2024 | „Flexibler werden – Erneuerbare Energien nutzen statt abregeln“ | Download