Alternativen zu den klimaschädlichen Erdgaskraftwerken: Pyrolysegas, Biogas, Wasserkraft, Speicher u.a.
Die Bereitstellung flexibler Stromerzeugung zum Ausgleich der schwankenden Solar- und Windstromerzeugung steht zu Recht im Fokus der öffentlichen Debatte und der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD. Von Hans-Josef Fell
Im Rahmen dieser Verhandlungen wird die Ausschreibung von 20 Gigawatt flexibler Erdgaskraftwerke angestrebt. Doch diese sind nicht nur höchst klimaschädlich, sondern angesichts der zunehmenden geo- und friedenspolitischen Spannungen in den Erdgaslieferländern wie Russland, den USA, Aserbaidschan, Kasachstan, Katar und Saudi-Arabien auch alles andere als sicher und kostengünstig.
Pyrolysegas aus der Biokohleerzeugung
Eine gerade erschienene wissenschaftliche Studie zeigt, dass das bei der Biokohleerzeugung aus landwirtschaftlichen Abfällen anfallende Pyrolysegas alleine 5 Gigawatt an flexibler, dezentraler Stromerzeugung liefern könnte. Dabei ist die Biokohleerzeugung – anders als Erdgas – höchst nützlich für den Klimaschutz. Sie wird aus landwirtschaftlichen Abfällen, Stroh und Holzresten erzeugt, könnte aber zusätzlich auch Klärschlamm oder Bioabfälle aus der Biotonne verwerten, womit deutlich mehr Pyrolysegas für flexible Stromerzeugung zur Verfügung stünde.
In Böden eingebracht (Stichwort: Terra Preta), wirkt Biokohle ertragssteigernd, verbessert die Wasserspeicherung bei Trockenheit und dient als dringend benötigte Kohlenstoffsenke – im Gegensatz zu Erdgas oder blauem Wasserstoff, die als Quellen von CO₂- und Methanemissionen gelten.
Die Forscherin Anna Sandhaas von der Hochschule Offenburg hat diese vielversprechenden Ergebnisse im Rahmen einer umfangreichen wissenschaftlichen Arbeit ermittelt. Frau Sandhaas forschte im Projekt Landwirtschaft 5.0 unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Kray an der Hochschule Offenburg.
Bei der letzten Sitzung des Forschungsbeirats, an der ich als Mitglied teilnahm, wurden diese und viele weitere spannende Ergebnisse für eine klima- und biodiversitätsschonende Landwirtschaft vorgestellt.
Die Forschungsziele von Landwirtschaft 5.0 sind:
- Maximale Biodiversität fördern
- CO₂-Emissionen auf null reduzieren
- Kohlenstoff im Boden speichern statt CO₂ in die Luft bringen
- Landwirt*innen fair entlohnen
- Gesunde, giftfreie Lebensmittel produzieren
👉 Weitere Infos zum Projekt Landwirtschaft 5.0
Biogas, Wasserkraft, Batterien flankieren kostengünstig den weiteren schnellen Ausbau von Solar- und Windkraft
Analysen der Energy Watch Group zeigen schon lange: Der schnelle Ausbau von Solar- und Windenergie ist – entgegen anderslautender Forderungen – weiterhin notwendig, möglich und muss durch zusätzliche Flexibilitätsoptionen flankiert werden. Dazu gehören unter anderem Biogas, Speichertechnologien und Wasserkraft.
Biogas- und Biomethan-Kraftwerke erzeugen derzeit rund 6 GW bei etwa 4.500 Vollaststunden, was einer jährlichen Stromproduktion von rund 31 TWh entspricht – bislang überwiegend im Grundlast-Modus. Mit derselben Substratmenge, jedoch leistungsstärkeren Generatoren, könnten diese Anlagen eine flexible Kapazität von 18 GW bereitstellen. Das entspricht nahezu dem Flexibilisierungspotenzial, das Union und SPD durch zentrale Erdgaskraftwerke erreichen wollen.
Durch Modernisierung, Repowering und Neubau könnte auch die Wasserkraft in Deutschland rund 5 Gigawatt zusätzliche flexible Leistung bereitstellen. Dies wäre komplett ohne Klimagasemissionen und könnte – und sollte – zugleich auch die Biodiversität in Gewässern verbessern.
Zu den bekannten und viel diskutierten Potenzialen zählen selbstverständlich auch die verschiedenen Speicheroptionen: Großbatterien, kleine Batteriespeicher direkt an PV-Anlagen – in Privat- und Mietshäusern ebenso wie im Gewerbe –, bidirektionales Laden von E-Fahrzeugen, Pumpspeicher, Wärmespeicher, Redox-Flow-Speicher und viele weitere.
Es stehen also ausreichend kostengünstige Möglichkeiten zur Verfügung, um den dringend notwendigen, steilen Ausbau von Solar- und Windenergie so zu gestalten, dass ein sicheres und wirtschaftliches Stromsystem entsteht – selbst bei vollständiger Elektrifizierung von Wärme, Mobilität und Industrie. Der Neubau von Erdgaskraftwerken hingegen ist klimaschädlich, teuer und überflüssig.
SPD und Union setzen dennoch auf neue klimaschädliche Erdgaskraftwerke
Im bislang bekannten Papier der Energie- und Klimaverhandlungsgruppe für eine Regierungskoalition von Union und SPD heißt es: „Den Bau von bis zu 20 GW an Gaskraftwerksleistung bis 2030 wollen wir im Rahmen einer zügig zu überarbeitenden Kraftwerksstrategie technologieoffen anreizen. Die neuen Gaskraftwerke sollen deutschlandweit vorrangig an bestehenden Kraftwerksstandorten entstehen und regional nach Bedarfen gesteuert werden.“
Wer den Politikbetrieb in Berlin kennt, weiß: Gemeint sind damit faktisch nur Erdgaskraftwerke. Der Neubau von Biogaskraftwerken an bestehenden Kraftwerksstandorten ergibt wenig Sinn, da diese Anlagen deutlich kleiner sind und ausschließlich dezentral – nicht zentral – betrieben werden können. Auch die Einspeisung von Biomethan in das Erdgasnetz und der anschließende Transport zu neuen zentralen Kraftwerken ist deutlich ineffizienter und damit kostspieliger als der Betrieb dezentraler Biogasanlagen. Letztere sind zudem ideal für die dörfliche Nahwärmeversorgung – ein Anwendungsbereich, den große zentrale Gaskraftwerke kaum abdecken können.
Grüner Wasserstoff wiederum steht bis 2030 – und vermutlich auch darüber hinaus – weder in den benötigten Mengen noch zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung. Es kann sich im Koalitionspapier also faktisch nur um große zentrale Erdgaskraftwerke handeln.
EnBW behauptet: Neue Erdgaskraftwerke seien die günstigste Flexibilisierungsoption
Mit einer neuen Studie hat sich nun der große Stromversorger EnBW in diese Debatte eingeschaltet. Die Untersuchung soll belegen, dass ausgerechnet die im Papier von Union und SPD genannten 20 Gigawatt an zentralen, großen Erdgaskraftwerken die kostengünstigste Form flexibilisierter Stromerzeugung darstellen. Zufall? Oder eine gezielte Flankierung der eigenen Lobbyarbeit für fossile Geschäftsinteressen?
Laut Studie ließen sich angeblich durch einen deutlich verringerten (!) Ausbau von Solar- und Windenergie sowie durch begrenzten Einsatz von Batteriespeichern Einsparungen in Höhe von 500 Milliarden Euro erzielen.
Ausgerechnet der Ausbau emissionsfreier und inzwischen sehr günstiger Solar-, Wind- und Batteriestromerzeugung soll nach den Vorstellungen von EnBW nun massiv zurückgedrängt und durch klimaschädliches Erdgas ersetzt werden.
Die Studie kann selbstverständlich keine verlässliche Aussage darüber treffen, wie hoch die Erdgaspreise in den kommenden Jahren angesichts der sich zuspitzenden geopolitischen Spannungen sein werden – und ist daher schon aus diesem Grund unseriös. Zudem fehlen jegliche Aussagen darüber, wie hoch die so induzierten zusätzlichen Klimaschäden – wie Starkregen, Hitzetote, Hungertote und andere – infolge erhöhter Klimagasemissionen durch die vermehrte Nutzung von Erdgas und blauem Wasserstoff ausfallen werden.
Diese Studienergebnisse sind, wie so oft bei von fossilen Unternehmen beauftragten Studien, fehlerhaft und politisch hochgefährlich. Sie blenden die zentralen Probleme von Erdgas aus: die hohe Klimaschädlichkeit und die Abhängigkeit von immer unsicherer werdenden Erdgaslieferanten. Erdgas kommt überwiegend aus autoritär regierten Ländern, in denen die Erdgaslieferungen allein aufgrund der aktuellen geopolitischen Spannungen in den kommenden Jahren alles andere als sicher sind: Russland, Aserbaidschan, Kasachstan, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, USA (unter Trump) und andere.
Die Autoren der Studie von AURORA Energy Research haben sich damit selbst disqualifiziert. Sie haben wohl viel Geld von EnBW erhalten, um ein Ergebnis zu liefern, das den Interessen der Erdgaswirtschaft entspricht, und dabei zentrale Aspekte wie die problematische Abhängigkeit von autokratischen Lieferländern sowie die Schäden durch die bevorstehende Klimazerstörung einfach ausgeklammert – indem sie den Klimaschutz an den vollkommen unzulänglichen Klimazielen der Regierungen ausrichteten.
BUND/FÖS-Studie und BEE kommen zu ganz anderen Ergebnissen als EnBW
Demnach würde der Bau der 20 GW neuen Gaskraftwerke Förderkosten aus Steuergeldern zwischen 22 und 32 Milliarden Euro erfordern. Die geplante Umlegung der Kosten auf den Strompreis würde diesen um 0,6 bis 1,6 Cent pro kWh erhöhen.
Die kommende Bundesregierung sollte also vollständig auf die Ausschreibung neuer Erdgaskraftwerke verzichten. Sie führen nur zu viel zu teuren Flexibilitäten im Stromsektor, zu erhöhten Klimagasemissionen und zu einer zunehmenden politischen Erpressbarkeit durch undemokratische, autokratische Lieferländer. Mit Biogas, Pyrolysegas, Wasserkraft und Speichern stehen genügend andere kostengünstige Optionen zur Verfügung, die zudem echten Klimaschutz bieten.
Quelle
Hans-Josef Fell 2025 | Präsident der Energy Watch Group (EWG) und Autor des EEG