Neue Klimaziele lassen auf sich warten
UN-Frist für nationale Planungen läuft aus: Germanwatch und Misereor fordern nun umso mehr Ehrgeiz von der Europäischen Union.
Die Vertragsstaaten des Pariser Klimaabkommens haben sich verpflichtet, ihre nationalen Klimaziele (NDCs) im Fünfjahres-Zyklus anzupassen, um die globale Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die offizielle Frist, um die neuen NDCs einzureichen, endet heute. Mehr als die Hälfte der Staaten – darunter Indien, China und die EU – werden die gesetzte Frist der Vereinten Nationen nicht einhalten. Eine gewisse Verzögerung ist allerdings nicht verwunderlich, da es noch nie so viele Wahlen und neue Regierungen gegeben hat wie 2024. Germanwatch und Misereor betonen: Lieber ambitionierte Klimaziele ein paar Monate später als pünktliche, die aber weniger konsequent sind. Die Organisationen appellieren an die EU bis spätestens September Handlungspläne vorzulegen, die der Problemlage ohne Einschränkung gerecht werden und so auch andere Staaten zu deutlich verbesserten Zielen zu bewegen.
„Viele Staaten verhalten sich noch abwartend und taktierend. Dabei ist die Lücke zwischen den bisherigen Klimaverpflichtungen der Länder und dem, was für das Einhalten der Pariser Ziele nötig ist, sehr groß. Wenn sich das nicht zügig ändert, steigt das Risiko beträchtlich, in eine eskalierende Klimakrise hineinzugeraten. Wichtig ist, dass alle Staaten ihre Ziele deutlich vor der nächsten Klimakonferenz im November in Brasilien veröffentlichen. Bisher sehen wir neben viel Schatten aber auch Licht: Brasilien zum Beispiel hat bereits frühzeitig umfangreiche Ziele vorgestellt. Allerdings sind auch diese noch nicht ambitioniert genug“, sagt Petter Lydén, Bereichsleiter für Internationale Klimapolitik bei Germanwatch.
Madeleine-Alisa Wörner, Misereor-Expertin für Energie und Klima ergänzt: „Die Schwachstellen der bestehenden Klimapläne wurden auf der UN-Klimakonferenz in Dubai (COP 28) in einer globalen Bestandsaufnahme erfasst. Als wichtiger Bestandteil eines guten NDC sehen wir den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Rohstoffe. Hier sind klare fossile Szenarien für ein Ende der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entscheidend, um an bereits erzielte Fortschritte anzuknüpfen. Gerade bei der Umsetzung der Treibhausgas-Reduktion darf nichts an Umfang und Entschlossenheit verloren gehen. Verwässerungen durch zu breite Zeitrahmen, Ausnahmen für bestimmte Branchen oder neue Investitionen in fossile Infrastruktur darf es nicht geben.“
Lalit Chennamaneni, Germanwatch-Referent für internationale Klimapolitik: „Für viele Länder im Globalen Süden ist die fehlende finanzielle Unterstützung für die Umsetzung ihrer nationalen Klimaziele ein riesiges Problem. Auch deshalb halten sie sich zurück. Das gilt insbesondere für Anpassungsmaßnahmen und die Bewältigung der Schäden der Klimakrise. Die Versuche, private Gelder zu mobilisieren, werden dabei nicht ausreichen. Es braucht dringend innovative Ansätze, zum Beispiel die Besteuerung von Milliardären oder Abgaben auf den internationalen Schiffs- und Flugverkehr, um die notwendige Finanzierung zu gewährleisten.”
Mit US-Austritt aus Paris sind EU und China umso mehr gefordert
Wörner fügt hinzu: „Damit Klimapolitik gerecht ist und nicht an den Menschen vorbei gedacht wird, bedarf es darüber hinaus der systematischen Einbindung der Zivilgesellschaft und betroffener Gruppen in die Entwicklung und Umsetzung nationaler Ziele. Dafür ist Transparenz und Partizipation bei der Zielformulierung und der Umsetzung entscheidend. Das gilt auch für die EU, wo große Unsicherheit über den Zeitplan zur Veröffentlichung des NDC besteht.“
Die Europäische Union ist historisch betrachtet einer der größten Treibhausgasemittenten weltweit. Mit dem Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ist die EU nun umso mehr gefordert. Deshalb fordern Germanwatch und Misereor, dass Deutschland im Europäischen Rat für 2040 ein Klimaziel von mindestens 90 bis 95 Prozent Treibhausgas-Reduktion vorantreibt. Ambitionierte Ziele sind aus Sicht beider Organisationen sehr gut zu verwirklichen, weil erneuerbare Energien längst wettbewerbsfähig sind. Sie bilden die Grundlage dafür, mit China und anderen großen Emittenten angesichts des Ausscheidens der USA aus dem Pariser Abkommen deutlich zu machen: Wir halten den Kurs. Angesichts der sich weiter zuspitzenden Klimakrise appellieren beide Organisationen an die EU, einen Großteil der Minderungen, die bis 2040 notwendig werden, bereits bis 2035 zu erreichen.